Der frühe Mensch

 

aus Sitzung 776 vom 17. Mai 1976

 

Es gibt Kanäle für Wechselbeziehungen, die alle physische Materie verbinden - Kanäle, durch die das Bewußtsein fließt.

In den Begriffen, in denen ich gerade spreche, erlaubt dem Menschen seine Identifikation mit der Natur, diese inneren Kanäle zu verwenden. Er konnte sein eigenes Bewußtsein sozusagen durch viele Kanäle schwimmen lassen, in denen andere Arten des Bewußtseins verschmolzen.

Ich sagte, daß die Sprache der Liebe die grundlegende Sprache war, und ich meinte dies wörtlich. Der Mensch liebt die Natur, identifizierte sich mit ihren vielen Aspekten und fügte sein eigenes Existenzgefühl hinzu, indem er sich mit der Macht der Natur verband und sich mit ihrer Kraft identifizierte.

 

Es war nicht so, daß er nur die Elemente der Natur personifizierte.

Vielmehr stürzte er seine Persönlichkeit in ihre Elemente und ritt sie sozusagen. Wie erwähnt, erweckt die Liebe das Bedürfnis, den Geliebten zu kennen, zu erforschen und mit ihm zu kommunizieren. Die Sprache begann also damit, daß der Mensch versuchte, seine Liebe zur natürlichen Welt auszudrücken.

 

Ursprünglich hatte Sprache nichts mit Worten zu tun.

 

Tatsächlich ergab sich die verbale Sprache erst, als der Mensch einen Teil seiner Liebe verloren und einen Teil seiner Identifikation mit der Natur vergessen hatte, so daß er ihre Stimme nicht mehr als auch die seine verstand.

In jenen Tagen der Frühzeit besaß der Mensch eine gigantische Arena, um seine Gefühle auszudrücken. Er wütete symbolisch mit den Stürmen der Natur, und ziemlich bewußt identifizierte er sich so sehr mit ihnen, daß er und seine Stammesgefährten sich mit Wind und Blitz vereinigten und zu einem Teil der entfesselten Kräfte wurden. Sie fühlten und wußten auch, daß die Stürme das Land erfrischten, ganz gleich wie wild sie tobten.

 

Wegen dieses Sicheinsfühlens mit der Natur wurde die Todeserfahrung,

w i e  i h r  s i e v e r s t e h t, in keiner Weise als ein Ende betrachtet.

Die Beweglichkeit des Bewußtseins war eine Erfahrungstatsache. Das Selbst wurde nicht so betrachtet, als ob es in der Haut stecken würde. Der Körper wurde mehr oder weniger als freundliches Heim oder als Höhle verstanden, die dem Selbst Unterschlupf gewährte, es aber nicht einengte.

 

Die Sprache der Liebe hatte a m  A n f a n g  auch nichts mit Bildern zu tun.

Geistige Bilder, w i e  s i e  v e r s t a n d e n  w e r d e n, bildeten sich in der gegenwärtigen Form erst, als der Mensch, einmal mehr, einen Teil seiner Liebe und seines Einsseins mit der Natur verloren hatte und vergaß, wie er sich mit einem Bild von dessen Innerem her identifizieren konnte, und es deshalb von außen zu betrachten begann.

 

Ich möchte betonen, wie schwer es ist, eine solche Sprache verbal zu erklären. Die Sprache der Liebe folgte gewissermaßen molekularen Wurzeln - einer Art biologischem Alphabet, obwohl "Alphabet" ein viel zu enger Begriff ist.

 

Jedes natürliche Element hatte sein eigenes Schlüsselsystem, das es mit anderen verband und Kanäle bildete, durch die das Bewußtsein von einer Lebensform zu anderen fließen konnte. Der Mensch verstand sich als individuelles Wesen, das aber mit der gesamten Natur verbunden war. Die emotionale Ausdehnung seines Lebens ging also weit über eure sogenannte persönliche Erfahrung hinaus. Jeder Mensch, der, zum Beispiel, einen Sturm mitmachte, tat dies auf seine eigene Weise.

 

Den Emotionen wurde ihr ungehemmter Ausdruck zugestanden, die Jahreszeiten der Erde und der Welt wurden gemeinsam empfunden.

 

Die Sprache oder die Methode der Kommunikation kann vielleicht am besten als direktes Wissen beschrieben werden. Direktes Wissen hängt von einer Art Gleichsetzung in Liebe ab: es wird einfach gewußt, was gewußt wird. Auf dieser Stufe sind weder Worte noch Bilder nötig.

Die Menschen fühlten, daß der Wind draußen und der von innen gesteuerte Atem ein und dasselbe waren, so daß der Wind das Ausstoßen des Atems vom Mund des Lebenden war, der sich über den Körper der Erde ausbreitete. Ein Teil des Menschen verließ ihn mit seinem Atem - deshalb konnte das Bewußtsein des Menschen überall hinreisen und zu einem Teil eines jeden Ortes werden.

 

(Lange Pause) Die Identität einer Person war insoweit persönlich, als ein Mensch jederzeit wußte, wer er war. Er war sich seiner persönlichen Eigenart so sicher, daß er sie nicht beschützen mußte und sein Bewußtsein in einer Weise erweitern konnte, die euch jetzt fremd ist.

 

Gönnt uns einen Moment . . .  Nehmt den Satz: "Ich betrachte den Baum§. Wenn jene ursprüngliche Sprache Worte hätte, wäre das Gegenstück: "Als ein Baum betrachte ich mich selbst".

Oder: "Wenn ich meine Baumnatur annehme, ruhe ich in meinem Schatten". Oder gar: "Im Schatten meiner Baumnatur ruhe ich von meiner Menschennatur aus".

Ein Mensch stand weniger am Ufer und schaute auf das Wasser hinab, als daß er vielmehr sein Bewußtsein darin versenkte. Die ursprüngliche Neugier des Menschen bezog sich weniger auf das Sehen, Fühlen oder Berühren des Objektes als vielmehr auf ein freudiges psychisches Erforschen, indem er eher sein Bewßtsein eintauchte als bloß seinen Fuß - in das Wasser eines Stroms -, obwohl er beides tat.

 

Wenn diese Sprache, von der ich spreche, verbal gewesen wäre, hätte der Mensch nie gesagt:

"Das Wasser fließt durch das Tal". Der Satz hätte sich vielmehr wie folgt gelesen:

"Über Steine fließt mein Wasser mit anderen in schlüpfriger Vereinigung".

D i e s e  Übersetzung ist auch nicht die beste. Der Mensch bezeichnete sein Bewußtsein nicht mit allen Mitteln als das einzige. Er dankte zum Beispiel dem Baum für den gespendeten Schatten, und er wußte, daß der Baum seine besondere Eigenart behielt, auch wenn er seinem Bewusstsein erlaubte, sich mit ihm zu verbinden.

 

In eurem Sinn begann der Gebrauch der Sprache damit, daß der Mensch diese Art der Identifikation, das Gefühl des Einsseins, verlor.

Ich muß nochmals betonen, daß die Indentifikation nicht symbolisch, sondern ein praktischer, alltäglicher Ausdruck war. Die Natur sprach für den Menschen und der Mensch für die Natur.

 

In einer bestimmten Weise waren Hauptwort und Zeitwort eins. Das Hauptwort verschwand nicht, sondern drückte sich selbst als das Zeitwort aus.

In einer Art emotionaler Vergrößerung, die euch unbekannt ist, wurden den persönlichen Gefühlen eines jeden Menschen durch die Veränderungen der Natur ein Ausdruck und eine Befreiung ermöglicht - eine Befreiung, die verstanden und für selbstverständlich hingenommen wurde.

 

Letztlich hängen Wetterbedingungen und Gefühlsleben immer noch eng zusammen.

Die inneren Bedingungen verursachen die äußeren klimatischen Veränderungen, obwohl es euch heute umgekehrt zu sein scheint.

 

Da ihr euch nicht mehr länger mit den Kräften der Natur identifizieren könnt, seid ihr einer der wichtigsten Ausdrucksarten beraubt - oder ihr beraubt euch ihrer vielmehr selbst.

 

Der Mensch wollte ein bestimmtes Bewußstsein verfolgen. Während einer langen Periode zog er sozusagen seine Aufmerksamkeit in sich hinein; er identifizierte sich nicht mehr wie früher, sondern begann die Objekte durch das Objekt seines Körpers zu sehen.

Er vereinigte nicht mehr sein Bewusstsein wie früher, indem er es mit einem Baum verband und vielleicht seinen eigenen, stehenden Körper vom Standpunkt des Baumes aus sah, sondern er lernte, den Baum als Objekt zu betrachten. Da wurden die geistigen Bilder im üblichen Sinne wichtig - vorher hatte er sie verstanden, aber auf eine andere Art, nämlich von innen nach außen.

 

Nun begann er, zu zeichnen und zu skizzieren, er lernte, in seinem Geist Bilder aufzubauen, die mit den realen äußeren Objekten in der neu aufgenommenen Art in Verbindung standen.

Nun ging er nicht nur zu seinem Vergnügen spazieren, sondern um die gewünschten Inforamtionen zu sammeln, um Distanzen zu überwinden, die sein Bewußtsein vorher frei durchreist hatte.

Er brauchte also primitive Karten und Zeichen. Statt ganzer Zeichen benutzte er partielle, Fragmente von Kreisen oder Linien, um die natürlichen Objekte darzustellen.

 

Er hatte immer schon Laute von sich gegeben, um Gefühle, Absichten oder einfach Überfluß mitzuteilen. Da er sich jetzt mit Skizzen und gezeichneten Bildern befaßte, begann er, ihre Form mit seinen Lippen nachzumachen. Das "O" war perfekt, es stellt einen der ursprünglichen spontanen Laute der verbalisierten Sprache dar.

 

Nun: Unabhängig von der Sprache, die ihr sprecht, hängen die Töne, die ihr machen könnt, von eurer physischen Struktur ab, so daß sich die menschliche Sprache aus einer bestimmten, begrenzten Anzahl von Lauten zusammensetzt. Eure physische Konstruktion ist das Ergebnis innerer molekularer Vorgänge, und die Laute, die ihr von euch gebt, hängen mit diesen zusammen.

 

Ich habe gesagt, daß der Mensch der Frühzeit eine gewisse emotionale Vergrößerung empfand, indem er beispielsweise die Stimme des Windes als seine eigene spürte. In einer bestimmten Weise stellen eure Sprachen, indem sie eure individuellen Absichten und Mitteilungen ausdrücken, auch eine Art Erweiterung dar, die aus euren molekularen Verbindungen hervorgeht.

 

Der Wind macht bestimmte Laute, die von den Eigenschaften der Erde abhängen. Der Atem macht bestimmte Laute, die von den Eigenschaften des Körpers abhängen. Es besteht ein Zusammenhang zwischen den Alphabeten und der Molekularstruktur, aus der euer Gewebe besteht.

 

Alphabete sind also natürliche Schlüssel.

Solche natürliche Schlüssel haben eine molekulare Geschichte. Ihr formt diese Schlüssel zu bestimmten Klangmustern, denen eine besondere Bedeutung zukommt.

 

Es gibt "innere Laute", die wie Schichten zwischen den Geweben sind, die Moleküle "einmanteln", und diese dienen als Grundlage für die äußeren Klangprinzipien.

Diese sind also mit Rhythmen im Körper selbst verbunden.

 

Gewissermaßen ist die Interpunktion ein Klang, den ihr nicht hört, eine Pause, die die Gegenwart des zurückgehaltenen Tones impliziert. Die Sprache hängt also zu einem gewissen Grad vom Ungesprochenen wie vom Gesprochenen ab, vom Rhythmus der Stille genauso wie vom Klang.

In diesem Kontext beinhaltet das Schweigen aber bloß eine Klangpause, in welcher der Ton vorhanden ist, aber zurückgehalten wird. Bei den inneren Lauten geht es vor allem um derartige Beziehungen. Die Sprache ist nur wegen dieses Rhythmus der Stille, auf dem sie reitet, von Bedeutung.

 

Ihre Bedeutung kommt ebenso von den Pausen zwischen den Lauten wie von den Lauten selbst. Der Atemfluß ist natürlich wichtig, weil er den Rhythmus und den Zwischenraum der Wörter reguliert. Die Integrität des Atems ergibt sich direkt aus einem geordneten Geben-und-Nehmen zwischen den Zellen, aus dem Funktionieren der Gewebe.

Und  a l l  d i e s  ist der Ausdruck der molekularen Kompetenz.

 

Diese Zuständigkeit ist offensichtlich für die Sprache verantwortlich; aber darüber hinaus ist sie mit den Sprachmustern selbst unmittelbar verbunden, mit dem Aufbau der Syntax, ja sogar mit den Zeichen, die in der Sprache gebraucht werden.

 

Ihr sprecht für euch selbst, aber dazu benutzt ihr eine Sprache, die nicht allein die eure ist, sondern das Ergebnis innerer Kommunikationen, die zu schnell ablaufen, als daß ihr ihnen folgen könnt, an denen gleichermaßen körperliche und seelische Realitäten beteiligt sind. Aus diesem Grund sind eure Sprachen auf mehreren Ebenen von Bedeutung. Die Laute, die ihr von euch gebt, wirken auf euren eigenen und auf andere Körper. Jede Sprache verfügt deshalb neben dem Bedeutungswert auch über einen Klangwert.

 

Die Worte, die ihr an jemand anderen richtet, werden vom Empfänger in einer bestimmten Weise in ihre Grundkomponenten zerlegt und auf verschiedenen Ebenen verstanden.

Psychologische Interpretationen werden fixiert und auch molekulare. Die Laute und ihre Pausen drücken emotionale Zustände aus, und als Reaktion darauf verändert der Körper seinen Zustand in beliebigem Ausmaß.

Der Zuhörer zerlegt tatsächlich die Sprache. Er baut seine eigene Antwort auf. Ihr habt Worte und Bilder so eng miteinander verknüpft, daß die Sprache aus einem Klang zu bestehen scheint, der ein Bild hervorruft. Es gab auch Sprachen mit Lauten für Gefühle und rein psychische Zustände, aber ohne Subjekte und Prädikate oder gar eine Satzstruktur, die ihr hättet erkennen können.

 

Eure Sprache muß eurer Wahrnehmung folgen, die darunterliegende Klangstruktur nicht unbedingt.

Ihr sagt: "Ich bin heute, ich war gestern, und ich werden morgen sein"; aber in anderen Sprachen würde eine solche Aussage nicht verstanden und dafür auf jeden Fall das Wort

"Ich bin" verwendet.